Italienische Malerei des Früh- und Hochbarocks
Seit der Renaissance erscheint der hl. Sebastian in der italienischen Malerei als junger Mann mit ebenmässigem Körper und sanften Gesichtszügen. Im Gemälde von Federico Barocci (um 1535–1612) – bei dieser absoluten Rarität handelt es sich um einen meisterhaft gemaltes «modello» für ein um 1590/95 entstandenes Altarbild im Dom von Genua – wird diese sentimentale Ausstrahlung im Sinne der gegenreformatorischen Bestrebungen überhöht.
Gemäss Legende wurde Sebastian, ein Offizier der kaiserlichen Garde, wegen seines öffentlichen Glaubensbekenntnisses zum Tode verurteilt. Nachdem er die Pfeile der Bogenschützen überlebt hatte, sich aber weiterhin standhaft zum Christentum bekannte, erschlug man ihn mit Keulen. Deshalb gilt er als Schutzheiliger gegen Seuchen und Pest, als Patron der Sterbenden sowie zahlreicher Berufe, die mit dem Kriegshandwerk verbunden sind.
Im «modello», das zur Perfektion vollendet ist, hat der Künstler den Ausdruck des Gesichtes in allen Einzelheiten festlegen wollen. Die Gemütsbewegungen des Dargestellten sind in der Physiognomie sichtbar gemacht. Im leicht geöffneten Mund deuten sich die Leiden des Märtyrers an, während die Vision des Mitleidens mit dem gekreuzigten Erlöser durch die aufwärts gedrehten Augen evoziert wird. Der hl. Sebastian – ein jugendlich schöner Mann und zugleich ein Vorbild an Tugendhaftigkeit und Glaubensstärke – ganz !
Barocci ist der wichtigste italienische Künstler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Seine Bedeutung für die Malerei des internationalen Barock ist kaum zu überschätzen, wie allein schon der prägende Einfluss auf den Flamen Peter Paul Rubens belegt.
Mit der «Dornenkrönung Christi», einem um 1650 gemalten Werk von Carlo Maratta (1625–1713), verfügt das Kunstmuseum St.Gallen über ein hervorragendes Beispiel römischer Barockmalerei. Die Dramatisierung des in den Evangelien geschilderten Passionsgeschehens zielt im Sinne der Gegenreformation ganz auf das „Mitleiden“ des Betrachters: Die Gläubigen sollen das Opfer des Heiland emotional, geradezu physisch nachvollziehen. Das szenisch genau kalkulierte Hell-Dunkel, die beziehungsreiche Farbsetzung, die ausgeklügelte Komposition – man beachte, wie der mit Panzerhandschuh bewehrte Soldat das Haupt Christi buchstäblich aus der Bildmitte reisst –, all das verweist auf Marattas intellektuellen Hintergrund. Als Direktor der Accademia di San Luca stand er im Brennpunkt aktueller künstlerischer Diskurse und in freundschaftlichem Austausch mit Giovanni Pietro Bellori, dem einflussreichen Theoretiker, der das klassizistische Ideal in der Barockmalerei von Carracci, Poussin und Maratta am Reinsten verwirklicht sah.
Einen bedeutenden Schwerpunkt im 18. Jahrhundert hat die Barockmalerei in der Sammlung mit dem «Kopf eines bärtigen Mannes» von Gaetano Gandolfi (1734-1802) erhalten. Als Bruststück erfasst, rückt der Dargestellte mit seiner wildgelockten Haar- und Barttracht nah heran und mustert die Betrachtenden mit skeptisch-distanziertem Blick. In bewegtem Helldunkel (chiaroscuro) ist ein ebenso eindringliches wie geheimnisvolles Charakterbild inszeniert. Die auffällige Gestik und Mimik des Mannes – die Kopfwendung nach rechts, der Blick aus verschatteten Augen, die zusammengepressten Lippen, die vor die Brust genommene Rechte – sind wohl in Verbindung mit dem kunsttheoretischen Konzept der Affekte (affetti) zu sehen: Es war eine zentrale Forderung an den Künstler seit der Renaissance, menschliche Gemütsbewegungen und Gefühle im Bild durch körperliche Bewegung und Gesten anschaulich zu machen.
Die Brüder Gandolfi waren im Bologna der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die führenden Meister. Neben Fresken und Altären schufen sie zahlreiche religiöse und mythologische Tafelbilder, Genreszenen und Porträts. Erst nach seiner kürzlichen Wiederentdeckung wurde das Gemälde als charakterisches Werk Gandolfis aus den 1770er Jahren erkannt. Eine ganze Reihe von Kopfstudien seiner Hand ist überliefert, doch erreichen nur wenige die malerische Qualität und die Ausdruckskraft des «Kopf eines bärtigen Mannes». Die Unmittelbarkeit, die aus der meisterlich spontanen Malerei, aber auch aus dem irritierenden Blickkontakt spricht, lässt eine Entstehung direkt vor dem Modell vermuten.