
Diogo Graf
Poetik der Abstraktion
16. Mai bis 2. November 2025
Im Kabinett präsentiert das Kunstmuseum St.Gallen wechselnde, fokussierte Einzelpräsentationen bedeutender künstlerischer Positionen aus der Sammlung. Den Auftakt bildet diese Ausstellung des St.Galler Künstlers Diogo Graf (geboren 1896 in Fortaleza, Ceará, Brasilien, gestorben 1966 in St.Gallen). Nachdem er seine ersten sieben Lebensjahre in Brasilien verbracht hatte, begann er seine künstlerische Laufbahn in den 1930er-Jahren in der Ostschweiz. Zunächst war er vom Fauvismus und Frühkubismus beeinflusst, bevor er ab 1938 zur abstrakten Malerei fand und zu einem der Wegbereiter der Abstraktion in der Schweiz wurde. Für viele Kunstschaffende in St.Gallen und der Region war er eine prägende Figur.
Die Ausstellung mit dem Titel Poetik der Abstraktion versteht sich nicht als retrospektive Übersicht zum Gesamtschaffen des Künstlers, sondern richtet den Fokus auf jene Werke aus den 1950er- und 1960er-Jahren, in denen sich Grafs unverwechselbare Position zwischen Struktur und Ausdruck herauskristallisiert. Zwei Werkstränge treten dabei in den Vordergrund: die lyrische Geometrie und die tachistische Abstraktion, eine Spielart der informellen Malerei, die sich durch spontane, gestische Pinselführung und eine Entwicklung von bisweilen Dunkeln hin zu leuchtenden Farbtönen auszeichnet.
In den 1950er-Jahren entwickelt Diogo Graf eine Bildsprache, die – oft handgezogen und nie mechanisch – zunehmend durch Offenheit und Vieldeutigkeit geprägt ist. Ausgangspunkt ist ein geometrisch bestimmtes Vokabular, das er sich als Mitglied der Allianz, der bedeutendsten Gruppe der Konkreten Kunst in der Schweiz, weitgehend autonom aneignete. Anders als Zeitgenossen wie Max Bill (1908–1994) oder Richard Paul Lohse (1908–1988) verlässt Graf jedoch bewusst die rigide Farbordnung der Zürcher Konkreten und sucht nach subjektiven, poetischen Qualitäten der Farbe. Durch die Verbindung rationaler Konstruktion mit malerischer Freiheit entstehen in dieser Phase Bildräume, die sowohl emotional als auch formal offen bleiben. Grafs lyrisch-geometrische Kompositionen dieser Jahre zeichnen sich durch klare Strukturen aus, die durch kleine Unregelmässigkeiten belebt werden – und so eine fast tänzerische Poesie entfalten.
In den 1960er-Jahren vollzieht Diogo Graf den Übergang von der lyrischen Geometrie zur tachistischen Abstraktion. Dies ist ein bemerkenswerter Schritt, der für viele Zürcher Konkrete nicht möglich gewesen wäre: Graf arbeitet mit expressiver Geste, pastosem Farbauftrag, aber auch mit transparenten Lasuren – gerade im Spannungsfeld zwischen Geometrie und Gestik liegt die historische Relevanz seines Werks. Nicht zuletzt durch seinen intuitiven Zugang zur Farbe und den Einsatz tropischen Kolorits entwickelt er in dieser Phase eine eigensinnige Tiefe, die ihn deutlich von den Wegbereitern der Nachkriegsmoderne unterscheidet.
Diogo Graf war nach seiner Ausbildung am Lehrerseminar Rorschach als Lehrer im Kanton und in der Stadt St.Gallen tätig. Ausgehend davon wurde er lange Zeit vor allem als Kunsterzieher wahrgenommen – eine Rolle, die sein künstlerisches Schaffen vielfach überlagerte. Erst heute beginnt sich eine differenzierte Rezeption seines Werks zu etablieren. Die Ausstellung Poetik der Abstraktion versteht sich als Beitrag zu dieser Neubewertung und macht sichtbar, wie früh Diogo Graf zentrale Fragestellungen der frühen Postmoderne antizipiert: die Auflösung rigider Systeme, die Öffnung des Bildraums und die Betonung der Prozesshaftigkeit als künstlerisches Prinzip – die Form als Gedanke, die Farbe als Atmosphäre, das Bild als Ort eines visuellen Denkprozesses.
Graf scheint damit intuitiv Konzepte vorwegzunehmen, die erst später in der postmodernen Theorie formuliert wurden. Sein Werk erinnert daran, dass die Geschichte der Moderne nicht nur in ihren Zentren geschrieben wurde, sondern auch an ihren Rändern – und dass eine leise, poetische Geste mitunter nachhaltiger wirkt als lauter Dogmatismus.
Impressionen
Der Künstler
Diogo Graf wurde 1896 in Fortaleza, Brasilien, geboren und kehrte als Kind mit seiner Familie in die Schweiz zurück. Nach der Ausbildung am Lehrerseminar in Rorschach war er über vier Jahrzehnte als Lehrer in der Ostschweiz tätig. Parallel dazu verfolgte er eine künstlerische Laufbahn, die ihn ab den 1930er-Jahren zunehmend zur Abstraktion führte.
Wichtige Impulse erhielt Graf durch seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule St.Gallen sowie durch die Freundschaft mit Hansegger (1908–1989), über den er 1942 Anschluss an die Künstlergruppe Allianz fand. In den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelte er ein eigenständiges Werk zwischen lyrischer Geometrie und gestischer Abstraktion. Seine Malerei bewegt sich zwischen Struktur und Spontaneität, zwischen Klarheit und poetischer Offenheit – eine Haltung, die heute aktueller denn je erscheint.
Grafs künstlerische Entwicklung verlief abseits der grossen Kunstzentren, war jedoch eng mit dem Schweizer Kunstbetrieb verbunden. Seine Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt – unter anderem in Zürich, St.Gallen, Glarus und Arbon. Auch international war er präsent: etwa am Salon des Réalités Nouvelles in Paris (1948, 1950), im Brooklyn Museum in New York (1951) sowie bei mehreren Allianz-Ausstellungen in der Schweiz.
Diogo Graf verstarb 1966 in St.Gallen. Sein Werk fand bereits zu Lebzeiten Beachtung über die Region hinaus – eine vertiefte Rezeption setzt jedoch erst in jüngerer Zeit ein, die ihn als wichtigen Vertreter der Schweizer Nachkriegsmoderne neu entdeckt.
Agenda
Öffentliche Führung
25. Mai 2025
Diogo Graf
Öffentliche Führung
25. Mai 2025, 13 Uhr, Kunstmuseum
Öffentliche Führung zur Ausstellung von Diogo Graf mit Kunstvermittler Florian Hürlimann
Die Kosten entsprechen den regulären Eintrittspreisen
Agenda
Kurator*innenführung
12. Juni 2025
Diogo Graf
Kurator*innenführung
12. Juni 2025, 19 Uhr, Kunstmuseum
Kuratorenführung zur Ausstellung von Diogo Graf mit Lorenz Wiederkehr.
Die Kosten entsprechen den regulären Eintrittspreisen






