A man and a woman make love, die spektakulär inszenierte Videoinstallation des Künstlers Gerard Byrne war einer der Höhepunkte der documenta (13). Im ehemaligen Ballsaal eines mondänen Kasseler Hotels wähnte man sich ins Jahr 1928 zurückversetzt inmitten einer Gesprächsrunde von Surrealisten um den Dichter André Breton. Das Re-Enactment und die räumliche Inszenierung der mehrteiligen Projektion vergegen-wärtigten das Gespräch zum Thema Erotik – mit dem Betrachter als Teilnehmer des illustren (männlichen) Zirkels.
Der räumlichen Inszenierung seiner komplexen Multimedia-Werken galt seit jeher ein grundlegendes Interesse des Künstlers. Dabei geht er weit über die üblichen Konventionen von Videoarbeiten hinaus, die für gewöhnlich im Dauerloop in einer Black Box zu sehen sind. Vielmehr nähern sich seine Installationen in ihrer räumlichen Strukturierung und ihrem zeitlichen Ablauf einer performativen Arbeit an und verweisen geradezu beiläufig auf die Nähe von Gerard Byrne’s Videoschaffen zum Theater. Das zeigt sich insbesondere in seiner wiederholten Bezugnahme zu Bertold Brechts epischem Theater bzw. seinem Gebrauch von Verfremdungseffekten, wie sie in den offensichtlichen zeitlichen Brüchen und der multiplen Perspektivität von Gerard Byrnes eigenwilligen Narrationen nachklingen:
„Es hat mich stets interessiert, Videoarbeiten zu realisieren, die irgendwie nicht vollständig konsumiert werden können. Ich meine das […] in einem skulpturalen Sinne. Obwohl ich mit zweidimensionalen Bildwelten arbeite, und Video ist per Definition linear – eine Bild folgt stets dem anderen –, untersuche ich die Möglichkeiten von Repetition und Differenz in einer fundamentalen Weise. Ich produziere mehrfache Bearbeitungen (edits) desselben Materials und spiele mit den Strukturen, mit denen diese Edits in den Ausstellungsraum übertragen werden.“ (Gerard Byrne)
Wiederholt hat sich der Künstler mit historischen Ereignissen beschäftigt, die er in aufwendigen Inszenierungen und mit ironisch distanzierter Perspektive in die Gegenwart übersetzt und dabei zugleich zugrunde liegende kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen offenlegt. Dabei handelt es sich beispielsweise um Interviews aus Playboy-Magazinen der 1960er und 1970er Jahren, die als Grundlage für die raumgreifenden Installationen New sexual lifestyles (2003) oder 1984 and beyond (2005-07) dienten. Wie in der documenta-Arbeit, deren Ausgangspunkt ein 1929 in der Zeitschrift La Révolution surréaliste 11 publiziertes Gespräch ist, dekonstruiert der Künstler die der westlichen Kultur inhärenten patriarchalen Strukturen, durch Fragen der Erotik, die allein von männlichen Protagonisten diskutiert werden. Zugleich durchdringen und verschieben sich unterschiedliche Zeitebenen, wenn unterschiedliche gesellschaftliche Codes unserer bourgeoisen Gesellschaft wie in einer filmischen Collage aufeinander treffen. In 1984 and beyond sind dies beispielsweise die typischen Anzüge der 1960er-Jahre in einer modernistischen Architektur der Nachkriegszeit, in der über die ferne Zukunft der Menschheit diskutiert wird, welche die Ausstellungsbesucher wiederum in ihrer eigenen Gegenwart verfolgen. Offensichtlich ironisch wirkt hingegen das als Werbung in einer Ausgabe des National Geographic veröffentlichte Gespräch zwischen dem Sänger Frank Sinatra und dem General Motors-Chef Lee Iacocca Why it’s time for Imperial, again (2002), in dem beide vor trostlosen Industrieruinen die Vorzüge des neuen Chrysler Imperial diskutieren.
Vom surrealistischen Zirkel über Zukunftsvisionen oder wirtschaftlichen und ökonomischen Zerfall bis zum Monster von Loch Ness: Gerard Byrnes multimediales Schaffen befragt im Grunde stets die Geschichte hinter den Geschichten: „Als Künstler tätig zu sein ermöglicht es mir, eher abstrakte, grundlegende Aspekte von Geschichten zu bearbeiten anstatt diese einfach darzustellen bzw. das aufzubereiten, was marginalisiert zu werden droht.“ (Gerard Byrne)
Kurator: Konrad Bitterli